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Verschlüsselt endlich! Wir können uns doch nicht auf Apple, Facebook & Co verlassen

Feministischer Zwischenruf

Verschlüsselung is the key. Nicht Tech-Nick fragen, selber machen: Warum Feminist*innen sich nicht nur um Hate Speech kümmern (sollten), sondern auch um Datensicherheit. Ein Feministischer Zwischenruf.

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Verschlüsselung is the key. Nicht Tech-Nick fragen, selber machen: Warum Feminist*innen sich nicht nur um Hate Speech kümmern (sollten), sondern auch um Datensicherheit.

Sollten Technologiefirmen dem Staat helfen, die Privatsphäre der Nutzer*innen einzuschränken? Nur im Dienste der Sicherheit, natürlich. Diese Frage bewegt schon seit längerem die netzpolitischen Aktivist*innen und die Sicherheitsbehörden – wenngleich aus sehr unterschiedlichen Motiven.

Das FBI und Apple kämpfen derzeit recht öffentlichkeitswirksam für beziehungsweise gegen die sogenannte backdoor, das Hintertürchen zum Entschlüsseln von vorher verschlüsselten oder gesicherten Daten. Während Institutionen wie der Verfassungsschutz, die NSA oder im aktuellen Fall das FBI ein großes Interesse daran haben, möglichst jede Art der Kommunikation oder Information abzufangen und zu speichern, sind Technologiefirmen wie Apple daran interessiert, ihre Angebote und Produkte mit so viel Datensicherheit wie möglich auszustatten. Denn Sicherheit ist ein relevantes Verkaufsargument.

Im aktuellen Streit geht es um ein iPhone, das Syed Farook gehört hat, einem der beiden Terrorist*innen, die Anfang Dezember letzten Jahres in einem Anschlag in San Bernardino 14 Menschen getötet und 22 verletzt haben. Das FBI möchte von Apple keine backdoor im klassischen Sinne, die Apple in jedes iPhone beziehungsweise in das iOS-Betriebssystem integrieren müsste. Stattdessen soll ein Programm geschrieben werden, welches eine Sicherheitsfunktion umgeht, die alle Daten auf dem Telefon löscht, wenn das Passwort zehnmal falsch eingegeben wurde. Würde das FBI dieses Tool bekommen, könnte es nicht nur dieses Telefon hacken, sondern könnte es in mindestens vier weiteren Fällen einsetzen, für die ähnliche Anfragen laufen. Auch die Passwortsperre jedes weiteren iPhones könnte umgangen werden, sobald die Technik erst einmal zur Verfügung gestellt ist. Das FBI fordert dieses Programm schon seit längerem von Apple, nur konnte es bis zum öffentlichkeitswirksamen Fall San Bernardinos die Notwendigkeit nicht untermauern.

So ziemlich jede Regierung oder Verfolgungsbehörde dürfte nach diesem Schritt von Apple eine backdoor oder technische Umgehung für Verschlüsselung fordern, um im Rahmen rechtsstaatlicher Möglichkeiten Verbrechen aufzuklären oder zu verhindern. Wie groß, dehnbar und löchrig dieser Rahmen ist, haben die Snowden-Enthüllungen gezeigt. 

Apples Widerstand ist gut - und konsequent kapitalistisch

Bisher weigert sich Apple standhaft, diese Form von Technik zur Verfügung zu stellen. Wohlgemerkt bezieht sich die zögerliche Haltung auf die Technik, denn über ein in der iCloud gesichertes Back-Up des fraglichen iPhones verfügt das FBI bereits.

Sei's drum. Apple kann auf namhafte Unterstützung aus dem Silicon Valley hoffen, wie Facebook, Google, Microsoft und einige mehr angekündigt haben. So schön das klingt, uneigennützig ist es nicht. Denn auf ebenjenen Daten, die Apple & Co so heroisch zu schützen vorgeben, beruhen ganze Geschäftsmodelle. Zum Zwecke besserer Kund*innen-Bindung wirbt Apple zum Beispiel mit der Sicherheit der Daten von Nutzer*innen. Auch Google stellte nach den Snowden-Enthüllungen alle Suchanfragen auf gesicherte HTTPS-Verbindungen um. Bei allen Bestrebungen gegen staatliche Eingriffe und Überwachung bleibt jedoch die Nutzung genau dieser sicheren Daten, etwa für Werbung sehr attraktiv

Klar ist aber auch, dass wenn Apple die Daten zumindest vor staatlichen Zugriffen nicht schützt, werden sich die Nutzer*innen abwenden und Alternativen suchen. Alternativen, die ohne Hintertüren auskommen, aber dann auch ohne Apple, was nicht im unternehmerischen Interesse sein kann.

Ohne Verschlüsselung keine Selbstbestimmung

Aus feministischer Perspektive sind die Themen Datensicherheit, Vorratsdatenspeicherung beziehungsweise staatliche Überwachung bisher eher vernachlässigt worden. Und das, obwohl es gerade aus einer herrschaftskritischen Perspektive unabdingbar ist, darüber zu diskutieren, inwieweit auch die zunehmende staatliche und vor allem geheimdienstliche Kontrolle zu einer normierenden Selbstregulierung und/oder diskriminierenden Zurückdrängung gerade minorisierter Subjektpositionierungen und ihrer auch im öffentlichen Netz artikulierten Kritiken führt.

Eine Alternative, um staatlicher Überwachung zu entgehen, wäre die aktive Verschlüsselung von Kommunikation, zumindest jenseits der gängigen sozialen Netzwerke, die eine Verschlüsselung nicht zulassen. Es gibt verschlüsselte Messenger-Dienste für Smartphones, und Emails können etwa mit PGP oder GnuPG, beides Open Source Anwendungen (der Programmcode ist offen und für alle frei zugänglich), verhältnismäßig einfach und sicher verschlüsselt werden. Das Problem ist nur: weder PGP noch GnuPG sind weit verbreitet. Das heißt, selbst wenn ich meine E-Mails verschlüsseln möchte, tun das die wenigsten meiner Kontakte.

Wir sollten uns beim Thema Datensicherheit nicht auf einzelne Firmen wie Apple oder Google verlassen, sondern die Verschlüsselung, etwa mit Open Source, selbst in die Hand nehmen und kollektivieren. Denn schlussendlich heißt verschlüsseln nicht verbergen, sondern selbstbestimmt das persönliche Recht auf Privatheit wahrnehmen und auch das der Mitkommunizierenden schützen. Als Feminist*innen wissen wir, dass auf das Recht auf Privatheit zu bestehen, bedeutet, das Recht auf das Politische zu erkämpfen.

Eng mit der Frage des Zugangs zu Verschlüsselung verknüpft, ist die Frage, wer es sich erlauben kann, nicht zu verschlüsseln. Ganz unabhängig davon, dass kaum jemand noch in der Lage ist, etwas verbergen zu können, wird aus der Haltung „Ich habe doch nichts zu verstecken“ eine normsetzende Mitte der Unverdächtigen generiert. Diese besteht meist aus – Überraschung – heterosexuellen, weißen Männern, die (zwanghaft) denken, alles teilen zu wollen. Dass sich daraus das Privileg ableitet, das Netz zunehmend mit Hass zu überfluten/zuzuspamen, erleben wir auf momentan erschreckende Weise. Jedoch auch sie können bei einer totalen Überwachung durch den Staat nicht mehr die Position der Unverdächtigen einnehmen. Wer etwas zu verbergen hat, entscheiden ja nicht Individuen, sondern das liegt im Auge der Überwachungssysteme, bestehend aus Technologie, Algorithmus und Sicherheitsdispositiv. Diese Systeme entscheiden zu einem beliebigen Zeitpunkt, welche Informationen interessant sind – um Interessen zu bedienen, welche immer das sein mögen.

Daher muss im Zusammenhang einer feministischen Netzpolitik neben der Frage des aktiven Verschlüsselns, immer auch das Sicherheitsdispositiv kritisch diskutiert werden, sofern es der Überwachung dient.  Oder wie Judith Butler es formuliert: "At a certain point, we have to ask whether security has become an alibi for state violence of various kinds".